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Epoche:
Jugendstil
1895-1915
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Beim Stichwort "Jugenstil-Haus" denkt manch einer an großzügige und
vornehme Altbauwohnungen mit hohen Decken und schönen Verzierungen, wie ein Blick in die Internet-Immobilienbörsen
zeigt. Doch längst nicht alle der so dargestellten, begehrten Altbauten sind dieser Epoche zuzuordnen.
Wie lassen sich historistische Gründerzeit-Häuser von den selteneren Jugendstil-Gebäuden unterscheiden? Und was ist überhaupt Jugendstil?
Gegenpol zur Industrialisierung
Der heute sogenannte Jugendstil, benannt nach der zeitgenössischen Münchener Kunstzeitschrift "Jugend",
hat sich in verschiedenen europäischen Metropolen aus verschiedenen Motiven, so etwa als Gegenströung zu den Auswirkungen der
Industrialisierung entwickelt. Das von der vordringenden industriellen Fertigung bedrohte Kunsthandwerk sollte erhalten und
gefördert werden.
Meuschelstr. 38 (1905). Assymetrie, Materialmix: inspiriert von Hector Guimards fünf Jahre zuvor preisgekröntem
Castel Béranger?
Gleichzeitig bediente
die Jugendstilkunst das vom Historismus nicht mehr gesättigte Bedürfnis des Großbürgertums in den
Hauptstädten, die eigene Außergewöhnlichkeit zu betonen. Die Entwicklungsmöglichkeiten des
Jugendstils waren dabei von Mäzenen
(z. B. Darmstadt, Hagen) und der Anwesenheit herausragender Künstlerpersönlichkeiten (Macintosh, Horta, van de Velde,
Olbrich) geprägt.
Das bildnerische Programm des Jugendstils entwickelte sich aus der Rückbesinnung
auf einfache, handwerklich gute Dinge und der Suche nach einer neuen Ausdrucksform.
Jugendstil-Balkongitter Friedrichstraße 55
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Die unter dem Begriff Jugendstil gesammelten Gedanken sind sehr heterogen.
Eine wichtige Rolle spielte unbestritten die Suche nach neuen
Gestaltungsmöglichkeiten, um sich von den überstrapazierten historischen Vorbildern
lösen zu können und einen eigenen, zeitgerechten
Stil zu finden. Insgesamt zeichnet sich mit der Jugendstilbewegung der Umbruch der Moderne ab. So findet sich auch
die Forderung, Fassaden aus der Raumteilung des Hauses heraus zu entwickeln und nicht mehr nach
starren Rastern zu organisieren. So wurden beispielsweise Treppenhäuser durch ansteigende Fenster sichtbar und
Assymetrien bewüßt zur Gestaltung eingesetzt.
Kunst und Leben als Einheit
Teils wurden Leben und Kunst als Einheit betrachtet, der Alltag sollte nach den
Vorstellungen der Jugendstilkünstler von der Kunst durchdrungen sein. Man versprach sich so eine
Verschönerung des Lebens, indem man ständig im Alltag mit Kunst konfrontiert war. Zu diesem
Zweck sollten alle Künste verschmelzen: Architektur, Malerei, Plastik und Kunsthandwerk wurden als
Einheit betrachtet und Häuser als Gesamtkunstwerke bis zum kleinsten Detail durchgestaltet.
Eidechsen, Symbol der Vanitas, in Gostenhof
Die Künstler wählten
die Natur als Vorbild und Motiv für ihre Darstellungen. Berühmt (z. B. durch Victor Hortas Hôtel Tassel) sind die "Peitschenlinen" des belgischen und
französischen "Art Nouveau". In Form der Baukunst sollten Pflanzen und Tiere zurück in die wachsenden Städte kehren,
aus denen sie verdrängt wurden. Auch Symbolismus und Mystik sind unverkennbare Bestandteile der
Jugendstilkunst. Typisch sind Chimären und Sagenfiguren, sowie allegorische, idealisierte Frauengestalten, beispielsweise an der Fassade des Hauses
Rohledererstraße 19.
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Jugendstil in Nürnberg |
Der Jugendstil erscheint in Nürnberg vorwiegend in zurückhaltender Weise. Warum?
Zum einen gab es in Nürnberg um 1900 keine künstlerische Avantgarde. Zum anderen
war der Jugendstil modern, da er etwas Neues gegen den blühenden Historismus setzte.
Vor dem Bild des zeitgenössischen Nürnberg war klar, daß der Jugendstil
in der damals noch fast völlig mittelalterlichen Altstadt nur
schwer Fuß fassen konnte, zumal der Historismus zugunsten des alten Nürnberg von einem breiten
gesellschaftlichen Konsens getragen war. Nur in den um die Altstadt
entstehenden Vorstädten und vornehmen Wohnquartieren trifft man auf
verschiedene Erscheinungsformen des Jugendstils, aber auch dort galt noch Alt-Nürnberg als
Vorbild.
Kennzeichnend für die vom Jugendstil beeinflußte Architektur
ist die Klarheit der Linien und der spürbare Erneuerungswille, der
in Nürnberg im Gegensatz zur historistisch-eklektizistischen
Verspieltheit des "Nürnberger Stils" steht.
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Jugendstil-Fassade (Äußere Bayreuther Str. 70)
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Die Jugendstil-Architektur erreichte in Nürnberg um 1905 ihren Höhepunkt. Um 1910 war die
kurzlebige Strömung bereits wieder abgeebbt. Die Entwicklung lässt sich anhand der in Nürnberg
errichteten und heute noch vorhandenen Gebäude wie folgt veranschaulichen.
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Erstellt nach: Renda/Gradert, Jugendstilhäuser in Nürnberg
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Der Jugendstil musste letztlich wohl scheitern, weil er einer elitären
Schicht vorbehalten war. Wenige vermochten und wollten die durchaus radikalen Forderungen des Jugendstils
konsequent nachvollziehen und waren zur Aufnahme von Kunst im geforderten Maße bereit.
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Jugendstilfassade in der Luitpoldstraße
Verbreitung fanden dann
Jugendstilformen auch andernorts, weil sie zur Mode wurden. Der Idee, dass Kunst überall
im Alltag vorhanden sein soll, ist aber die Entwicklung des modernen Designs zu verdanken.
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Mancher empfand es
wohl auch als zu zwanghaft, sich einem völligen "Kunst-Diktat" zu unterwerfen. Ein Bürgertum,
das der modernen Kunst aufgeschlossen war, fand man am ehesten
in kulturell progressiven Großstädten, wo auch Mäzene bereit waren,
Geld zur Unterstützung des Jugendstils auszugeben.
Jugendstil-Fensterrahmung, Bucher Straße
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Literaturhinweise zum Jugendstil in Nürnberg
- WILLENBERG, Knud, Bausteine zu einer Geschichte der Jugendstilarchitektur in Nürnberg. In: MVGN 75 (1988), S. 173.
- RENDA, Gerhard / GRADERT, Werner, Jugendstil-Häuser in Nürnberg, Nürnberg 1986.
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