1920-1940
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Was hat Nürnberg mit Berlin und Ankara gemeinsam?
Für alle drei Städte hat Prof. Hermann Jansen wesentliche stadtplanerische Arbeit geleistet.
Aufgrund des starken Wachstums der Stadt erstellte Jansen für Nürnberg
in der Zeit von 1921-1927 einen richtungsweisenden
Generalbebauungsplan, der noch heute die Stadtentwicklung prägt. Zumindest quantitativ ist der
"Jansenplan" noch ausreichend, denn er war für einen Bevölkerungsanstieg auf 700.000
Einwohner angelegt (Ende 2003: ca. 494.000 Einwohner). Damit wurden die Weichen für weitere Entwicklungen Nürnbergs gestellt, etwa in Hinblick auf
die Planung der Verkehrsströme und der Baugebiete mit den verschiedenen Nutzungsarten.
Die Jahre der Weimarer Republik sind für die Nürnberger Architekturgeschichte insgesamt eine
besonders wichtige Zeit. Der Oberbürgermeister Hermann Luppe veranlaßte etwa die
Anlage der großen sozialen Wohnungsbauprojekte. Zum anderen entstanden einige richtungsweisende und tatsächlich zeitgemäße
Projekte, wegen der die Epoche auch als "Moderne" überschrieben ist.
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Neues Bauen in Nürnberg: Der Milchhof
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Nicht alle Bauten aus der Zeit sind modern; bei der Betrachtung der Architektur aus der Zeit zwischen erstem und
zweiten Weltkrieg lassen sich stilistisch unterschiedliche Erscheinungsformen
feststellen. In den Zwanziger Jahren traten nebeneinander die Bauhaus-Avantgarde, des Expressionismus, des Nachhistorismus, des heimatbetonten
Bauens.
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Bereits auf die folgenden Jahre weisen monumentalistische
Anklänge hin. Zeittypische Probleme, die auf ihre architektonische Lösung
warteten, waren beispielsweise der soziale Wohnungsbau.
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Nachhistorismus, Heimatstil, Neoklassizismus |
Villa Im Weller 29, ursprgl. 1899/1901 von Johann Hertlein,
1921 barock-expressionistisch umgebaut und erweitert
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Es gab in gewissen Bereichen immer
Bedarf für eine konservative Architektur. Nach dem ersten Weltkrieg griff man
auf vereinfachte Formen von Historismus und Jugendstil zurück, in deren sachlich orientierten
Entwürfen häufig schon das Warten auf die Moderne spürbar wurde.
Verwirklicht wurden Bauten vor allem in neo-klassizistischen und neobarocken
Formen, daneben gab es auch Bauten im Heimatstil.
Später wurden die monumentalisierenden und klassizisierenden Formen
vom nationalsozialistischen Bauen aufgegriffen und für seine Zwecke verfremdet.
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Expressionismus |
Die kurzzeitig nach dem ersten Weltkrieg auflebende expressionistische Architektur drückte
den Glauben an große vergangene Zeiten und an eine bessere Zukunft aus.
Expressionistische Architekten entwarfen utopische Bauwerke, die diesen Pathos verkündeten.
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In Nürnberg gibt es keine im eigentlichen Sinne expressionistischen Gebäude, aber
man findet Fassadengestaltungen, die aus dieser Strömung abgeleitet sind.
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Wohnhaus von 1926 (Entwurf: Architekt Liersch)
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Bei diesem Wohnhaus im Nordosten der Stadt werden mit Treppengiebel und
Spitzbögen gotische Stilmerkmale frei abstrahiert verwendet. Im Expressionismus
wählte man diese Anklänge als Symbol für die Gemeinschaft. Man wollte
daran erinnern, welche Leistung die Menschen durch gemeinschaftliches Wirken im
mittelalterlichen Kathedralbau erreicht hatten, und dass sich der Einzelne der Gemeinschaft
unterordnen soll.
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Weniger solche ideologischen Erwägungen, sondern lediglich Geschmacksfragen
waren wohl bei solchen Einfamilienhäusern für die Gestaltung ausschlagebend,
da es an einer ideologisch prägenden Funktion fehlt. Eher ein dem Zeitgeist entsprechender
Historismus mag hier vorliegen, weil freilich auch an die Gotik der Altstadt errinert wird,
uns man, an den Historismus gewöhnt, noch dekorativ orientiert war - da kam der neue,
expressionistische "Stil" gerade recht.
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Pilotystraße 36
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Erlenstegenstraße 40 (1927 von Otto Weiss)
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Expressiv-historisierendes Dekor findet man auch am Hummelsteiner Weg 65 und 67 (1913); die
Villa Virchowstr. 27 zeigt ebenfalls
expressionistisch beeinflusstes Dekor. Das stattliche Anwesen Erlenstegenstraße 40 ist barockisierend
gestaltet, aber expressionistisch dekoriert. Das Haus ist nach Inschrift 1927 erbaut worden und
stammt von Otto Weiss. Expressiv wirken zum Beispiel der kräftig betonte Sims und die
Türeinfassung mit grob gehauenen Quadern, zusätzlich zu den Rundbogen im Erdgeschoss.
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Bauten des Expressionismus haben oft skulpturelle Wirkung, wie beispielsweise der expressiv
gestaltete Wasserturm des Rangierbahnhofes.
Der Haustyp des Doppelhauses wurde in den zwanziger Jahren häufig verwirklicht. In Erlangen
ist diese expressionistisch beeinflusste Architektur von 1924 zu finden. Auffällig sind
besonders die spitzen, giebelartigen Simse über den Fenstern und Türen.
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Das Neue Bauen |
Bauhaus und Neue Sachlichkeit sind der Beginn wirklich durchgreifender architektonischer Neuerungen im 20.
Jahrhundert. In Nürnberg war Otto Ernst Schweizer gegen Ende der 1920er Jahre der wichtigste Vertreter dieser Richtung. Auch
der internationale Stil ging aus dem Neuen Bauen hervor: dieser
steht für eine Gesamtheit von Gestaltungselementen modernen Bauens.
Charakteristisch sind Asymmetrie in Grund- und Aufriß, kubische Bauformen,
Skelettbau, breite Fensterbänder, weißer Putz und der völlige Verzicht
auf jegliches Ornament und Profil. Auch die Konstruktion der Wände durch
vorhangartig an der Stützkonstruktion aufgehängte Glasflächen wurde
bevorzugt. Die absolut rationelle Ausrichtung dieses Stils bedeutete auch den Wegfall lokaler
Prägungen.
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Der legendäre "Plärrer-Automat" überstand die Bomben, aber nicht den U-Bahn-Bau Foto: Bildarchiv Foto Marburg
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Zerstört: Kaufhaus Schocken (1926) von Mendelsohn Foto: Bildarchiv Foto Marburg
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Aufgrund dieser überkulturellen Ungebundenheit konnten ähnliche
Bauwerke auf der ganzen Welt entstehen. Noch heute werden vor allem gewerbliche
Zweckbauten nach den Prinzipien des "Internationalen Stils" gebaut. Oft langweilig wirkend,
zeigt sich gerade hier in der Qualität des Entwurfes das individuelle Können
des Architekten.
Herbe Verluste
Leider haben einige der schönsten und interessantesten Bauwerke, die
in Nürnberg für das Neue Bauen standen, die Zeiten nicht überdauert.
So vermißt man heute vor allem Schweizers Planetarium am Rathenauplatz, das der
nationalsozialistischen antimodernen Hetze zum Opfer fiel. Legendär ist Walter Brugmanns
futuristische, erst lang nach dem Krieg abgerissene Wartehalle "Plärrer-Automat".
Auch das "Kaufhaus am Ring" findet sich nur noch auf Abbildungen. Besonders schmerzlich ist der
kriegsbedingte Verlust eines architektonischen Meilensteins,
des Kaufhauses "Schocken" von 1926, welches
von dem namhaften Architekten Erich Mendelsohn entworfen worden war. Die Bevölkerung nennt
das heute an gleicher Stelle stehende Kaufhaus bezeichnenderweise immer noch "Schocken".
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Literaturhinweise zur Architektur in der Weimarer Zeit
- SCHMIDT, Alexander, Kultur in Nürnberg 1918-1933. Die Weimarer Moderne in der Provinz, Sandberg Verlag, Nürnberg 2005
- TASCHNER, Michael, Expressionistische Spitzbogendächer in Nürnberg, in: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 28 (2003), S. 93, Nürnberg 2004.
- http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44921
Historisches Lexikon Bayern (WWW-Seite), Artikel "Neues Bauen"
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