Ladenzentrum.
Die Weltraumwelle schwappte auch nach Nürnberg über.
Gestaltung
Auffällend und charakteristisch ist das humorvolle Konzept, die
zukunftsorientierten Architekturformen mit Straßennamen aus dem Weltall zu verbinden und
diese entsprechend künstlerisch zu gestalten.
Die 50er konnten nicht modern und fortschrittlich genug sein.
Zum futuristischen Design des Ladenzentrums paßten die Sci-Fi-Straßennamen wunderbar.
Hätte nur noch gefehlt, daß die Bewohner in Bundesbahn-Raumanzügen herumlaufen.
Der Entwurf der Siedlung zeigt die damals aktuellen Prinzipien des
Neuen Bauens (Zeilenbauten im Grünen
statt Blockrandbebauung, Licht, Luft Raum, abseits des Verkehrs) und
Gestaltungsprinzipien der 50er Jahre (geschwungene Straßenzüge, Fußwege
abseits der Straßen, aufgelockerte Bebauung).
Ende der 1950er Jahre war eine solche moderne und
vor allem neue Wohnanlage sicher begehrt, anstatt noch länger
hinter rußigen Ruinenfassaden und zwischen desolaten Trümmerhaufen zu leben.
Reihenhäuser Jupiterwinkel.
Siebenstöckiges Laubenganghaus am Saturnweg.
Innovationen
Neuartig war die Ermittlung der Wohnbedürfnisse mittels Fragebogen.
In die Wohneinheiten wurde ein stets sehr ähnlicher Block aus
Küche, Eßplatz, Bad, WC und (unterschiedlich genutzter) Hobbyraum eingebaut.
Letzterer stellte eine Neuerung dar, die es so zuvor nicht gegeben hatte.
Versorgungseinrichtungen
Zur Versorgung der Bewohner sah die Planung ein zentral gelegenes Ladenzentrum vor.
Es handelt sich um eine originell gestaltete, zweigeschossige Anlage
in der angenäherten Form einer Parabel,
die nach Süden, zum Park hin, geöffnet ist.
Die Ladeneingänge befinden sich auf der Innenseite, also von der Straße abgewandt.
Zum einen wird dadurch der "Einkaufsbummel" angenehmer, zum anderen
können die Läden so leicht durch die demnach zur Straße liegenden Hintereingänge beliefert werden.
Die Parabel sollte ursprünglich durch ein Kino bzw. Gaststätte zum Süden hin geschlossen werden.
Im Obergeschoß, zu dem eine schwungvolle, fast schon barocke, aber zeittypisch leicht gestaltete
Treppenkonstruktion hinaufführt, befinden sich teils Wohnungen.
Fast eine Showtreppe, die in das OG des Versorgungszentrums führt.
Teils sägezahnartig ist die Grundrißform des Ladenzentrums.
Heiz- und Waschhaus
Das unmittelbar vor dem Hochhaus am Planetenring gelegene Heiz- und Waschhaus
ist eines der profiliertesten Beispiele kühner Betonschalen-Architektur der
50er Jahre in Nürnberg. Die auffällige Formgebung erinnert an Werke namhafter
zeitgenössischer Architekten, die sich an den Ideen des organischen Bauens orientiert
haben. Bei dieser vielseitigen Strömung geht es um die Suche nach einer Architekturform, die
in ihrer Einflußnahme auf den Menschen dessen Wesen als lebendigem, sich entwickelnden Wesen gerecht werden kann.
Die gesuchte Harmonie aus Gebäde und Landschaft bzw. Umgebung zeigt sich beim Heizhaus in den
weichen Rundungen, insbesondere der Anpassung des Grundrisses an den bogenförmigen Straßenverlauf des
Planetenrings. Die Verwendung von Beton als Baumaterial ließ
dabei eine große Freiheit bei der
Formgestaltung zu. Bemerkenswert ist auch die völlige
Verglasung der Ostwand mit Formsteinen, wohingegen die übrigen Wände bis auf einige
Bullaugen im Norden geschlossen sind. Einen passenden Akzent setzt die grün patinierte Kupferverkleidung, die mit der
grünen Parkanlage harmoniert.
Die Metallskulptur am Eingang symbolisiert Heizen (rote Flammen) und Waschen (blaue Tropfen)
Mischung verschiedener Wohnformen.
"Zweispänner" am Saturnweg.
Eingang zu den vierstöckigen Mehrfamilienhäusern.
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Beschreibung
Die Zufahrt zu der Siedlung erfolgt über die Sonnenstraße nach Süden.
Zentrum der Siedlung ist ein in Nord-Süd-Richtung liegender,
ellipsenförmiger Bereich, der von der Straße mit dem
sinnvollen Namen "Planetenring" begrenzt wird.
Das nördliche Ende bildet das parabelförmige, nach Süden zu einer Parkfläche
geöffnete Ladenzentrum. Den Gegenpol am Südende stellt das 16geschossige Hochhaus mit
dem vorgelagerten Heiz-/Waschhaus dar.
Im Osten schließt sich an die Geschäfte eine Reihe von Gartenhofhäusern an.
In der Mitte des Ovals liegt ein Teich, umgeben von Wiesen ("Anger"), die
gleichzeitig als Skulpturenpark dienen.
Vom Planetenring zweigen radial (teils schleifenförmige) Stichstraßen ab,
die Planetennamen tragen.
Im Osten befinden sich vornehmlich Mehrfamilienhäuser, im Süden Reihenhäuser.
Großzügig angelegte Straßen. Versorgungsleitungen sind im Grünstreifen zwischen Straße und Gehweg versenkt
Wohl die wenigsten Städte können bei so schönen,
in Mosaiktechnik gestalteten Straßenschildern mit Nürnberg mithalten.
Wohnungsgrößen und Zuschnitte
Im Bereich der Wohnanlage finden sich unterschiedliche Wohnungsformen und -größen.
Die komfortabelsten Behausungen sind eine Handvoll zweigeschossige Gartenhof-Reihenhäuser, die
auf der Gartenseite an den Teich grenzen. Vor allem im Süden der Anlage gibt es eine Anzahl
teil- und vollunterkellerter Reihenhäuser. Des weiteren sind Wohnungen in vierstöckigen
"Zweispännern" (zwei Wohnungen pro Geschoß) untergebracht. Die größeren
Wohngebäude sind sieben- und neungeschossige Laubenganghäuser sowie das 16-geschossige Hochhaus.
Die würfelförfigen Reihenhäser, herrlich klare Kuben,
erinnern in ihrer Staffelung (zugegebenermaßen sehr) entfernt an J. J. P. Ouds
Reihenhäuser in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, die auch heute noch allenthalben als Vorbild
dienen, wenn auch heutige Entwerfer sich die Zähne daran ausbeißen, sie halbwegs gut nachzuempfinden.
Die sieben- und neungeschossige Laubenganghäuser wie am Saturnweg bestechen durch ihre klaren Formen,
die sicher manches Architektenherz höher schlagen lassen. Klassische Architektur
vom Ende der 50er Jahre, teils aufgeständert à la le Corbusier.
Versorgungszentrum. Gut zu sehen ist die Konstruktion mit Betonrahmen,
die die Erschließungsgänge im Obergeschoß halten.
Fußgängerbereich des Ladenzentrums mit Schaufenstern.
Kunst am Bau
Wichtiges und typisches Element der Architektur der Nachkriegszeit ist die "Kunst am Bau".
Der Anspruch des Vorhabens sollte durch künstlerische Ausstattung betont werden.
Die Anlage wurde so mit den zirkelförmigen Straßenschildern ausgestattet, an den
Gebäden finden sich Mosaiken und Sgrafitto-Bilder. Der zentrale "Anger" fungiert
auch Skulpturenpark mit Freiplastiken. Über den dortigen Bach führt eine kleine,
einst geschwungene Brücke, deren Geländer mit Fischmotiven verziert sind.
Die künstlerische Ausgestaltung macht die Siedlung nicht zuletzt sympathisch. Das ist
bedeutsam, um zu verhindern, daß bei einer solchen Großwohnsiedlung die Monotonie
einer Reißbrettstadt aufkommt.
Sgraffito "Vogelflugmotiv" (Georg Mayer-Pröger, Jakob Dietz), 1958,
auf der Rückseite der Garagenanlage Saturnweg.
Brücken(rudiment) mit künstlerisch gestaltetem Geländer im zentralen Skulpturenpark.
Filigrane Stützen, Glaswand mit Betonformsteinen: Hier weht ein Hauch von Brasilia
Probleme von Großwohnsiedlungen
Ähnlich der andernorts bestehenden Probleme in Großwohnsiedlungen sind gewisse Schwierigkeiten
ansatzweise auch in der Parkwohnanlage Zollhaus festzustellen, wenn auch nicht so drastisch wie in ostdeutschen Plattensiedlungen,
in Bremen-Tenever oder gar den vandalisierten Pariser Banlieus. Von wesentlichen
sozialen Spannungen kann zumindest hier keine Rede sein, eher herrscht ein friedliches, ruhiges Klima.
Leider sind aber Sgrafittos beschmiert. Kunst am Bau ist nach 48 Jahren ein Restaurierungsfall.
Der an den Reliefs sichtbare Vandalismus ist vielleicht der Grund,daß teils die Sitzflächen der
vorgesehenen Bänke fehlen. Dort spürt man, daß Verwahrlosung droht.
Gefahren sind hier eher die einer Schlafstadt innewohnende Langeweile, mangelnde Lebendigkeit,
und die Abwesenheit von Gewerben, da solche sich nicht halten können, vielleicht auch Überalterung.
Zu beobachten war offensichtlich auch, daß wenig Austausch zwischen altem und neuen Siedlungsteil stattfindet,
und man "unter sich" bleibt. Die Kehrseite einer geschlossenen Wohnsiedlung ist daher die Isolation einer
bestimmten Bevölkerungsgruppe bzw. kulturell geprägten Gruppe, schlimmstenfalls zur Ghettoisierung neigend.
Man erkennt zwar, daß diese Probleme bei Konzeption der Siedlung gesehen wurden: die offene und typologisch
gemischte Bauweise sollte gerade nicht das "Wir sind wir"-Gefühl der Gartenstadtzeit erzeugen.
Dennoch ist es offenbar nicht gelungen, die Wohnanlage so zum Leben zu erwecken, wie beabsichtigt war.
So hat das Ladenzentrum nie funktioniert wie ursprünglich geplant. Im krassen
Gegensatz zum (vermeintlichen?) architektonischen Fortschritt hielt man, gesellschaftlich
weniger fortschrittlich, das Ladenzentrum in der Bauzeit noch für "Die Welt der Frau"!
So heißt nämlich Hilde von Collandes "ihr thematisch dem Standort verpflichtetes Keramikrelief"
(Publikation von 1969) am Eingang zum Ladenblock. Allerdings machte das Ladenzentrum bei
meinem jüngsten Besuch einen desolaten Eindruck. Auf einem alten Foto aber flanieren hier
die "Hausfrauen" mit Einkaufstaschen, es werden Pfirsiche, frische Hähnchen und
Leberwurst angeboten. Doch für die unrentablen kleinen Läden fanden sich schon bald
keine Betreiber mehr in ausreichender Zahl.
Jetzt herrscht eine für museale Architekturfotos angenehme Leere,
Gerümpel steht in einem ehemaligen Laden herum, die Post hat ihre Filiale
schon vor Jahren geschlossen. Nagelstudio, Online-Army-Shop, Fahrschule hoffen
heute auf Kunden. Ein in Mitten der Ladenzone geplantes Kino konnte mangels
Interessenten nie gebaut werden. Auch gibt es keine Gastronomie: so ist kaum verwunderlich,
daß Bewohner schon vor 40 Jahren kritisierten, die Siedlung wirke "tot und öde".
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