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Epoche:
Industrialisierung
19./20. Jahrhundert
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Industrialisierung ist keine spezifisch kunsthistorische Epoche. So finden sich unter diesem Oberbegriff
Bauten verschiedener Zeiten und Stile, beispielsweise Historismus und Jugendstil. Aufgrund der Bedeutung der
Industrialisierung für Nürnberg wird ihr trotzdem ein eigenes Kapitel gewidmet.
Von Mühlen und Hämmern: Die Vorläufer
In Nürnberg gab es bereits vor der Industrialisierung architektonische Ausprägungen
industrieller Entwicklungen. So weisen Hammerwerke wie in Katzwang und in
Hammer bei Laufamholz, Mühlen (Kleinweidenmühle, Gerasmühle)
und Wohnanlagen wie die der Sieben Zeilen
in ihrer Struktur bereits auf spätere Entwicklungen der Industrialisierung hin. Auch die bereits 1569 gegründeten
Leonischen Drahtwerke, heute multinationaler Konzern mit Sitz in Nürnberg,
hatten sich die Stromschnellen der Rednitz in Mühlhof zunutze gemacht. |
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Nürnberger Baudenkmal der Industrialisierung: Ehem. Münzprägeanstalt Fürther Str. 199 (1898)
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Rauchende Schlote - Strukturwandel im 19. Jahrhundert |
Die Industrialisierung ist einer der wesentlichen soziokulturellen Faktoren des
19. Jahrhunderts. Dies hat sich auch in unterschiedlicher Weise in der
Architektur niedergeschlagen: einerseits in der Frage, was gebaut wurde
(Fabrik- und Infrastrukturbauten, Fabrikantenvillen, Arbeitersiedlungen), andererseits
beim Einfluss auf die Bautechnik (Verwendung neuer Materialien und Verfahren,
Rationalisierung).
Tucherbrauerei Schillerstraße, 1897-98 von Müller
Ein Bereich, in dem neue Bauaufgaben entstanden, war der Bau von Wohnungen für die
zahlreichen Fabrikarbeiter. In Nürnberg entstand 1898-1908 zum Beispiel die
Arbeitersiedlung
Siemens-Schuckertscher Arbeiter, von der die Gaußstraße am besten erhalten ist.
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Wohnhaus Johann Michael Bast (1820-91) bei dessen Hefe- und Spiritusfabrik in Buch,
bez. 1855, Anbau (Magazin) ca. 1890, Kantineneinbau 1934 von Müller
Nürnberg profitierte in besonderer Weise von der Industrialisierung. Hatte man
nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation den endgültigen
Untergang Nürnbergs befürchtet, so entwickelte sich die Stadt ein halbes Jahrhundert
später zu einem Zentrum verschiedener Wirtschaftszweige, beispielsweise dem Maschinenbau.
Die Stadt wurde zum sprichwörtlichen "industriellen Herz Bayerns".
Arbeiter-Wohnquartier Kieselbergstraße
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Auf ins Grüne - Gartenstadt-Bewegung |
Aus England kommend, wurde der Gartenstadt-Gedanke in Deutschland zuerst in Hellerau bei Dresden durch
Richard Riemerschmid
aufgegriffen - ein Prominenter, der auch in Nürnberg die Siedlung "Gartenstadt" entwarf.
Unregelmäßige Straßenführung, romantisierende architektonische Gestaltung
und viel Grün sollten die Wohnverhältnisse und die gesundheitliche Verfassung der Arbeiter
verbessern.
Mit der eigentlichen Gartenstadtidee haben die hier vorhandenen "Gartenstädte"
allerdings wenig gemein. Ursprünglich hatte Ebenezer Howard, der Verfasser des Werks "Gartenstädte in Sicht",
sich nämlich keine kleinen, abgeschlossenen Siedlungen vorgestellt, sondern planmäßig angelegte Großstädte mit
Industrie-, Wohn- und Grüngürteln. Doch dies blieb eine architektonische Utopie.
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"Gartenstadt"-Zitate in Erlangen (Siedlung am Röthelheim)
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Nürnberg, das durch die Industrialisierung maßgeblich verändert wurde, weist
drei Beispiele für Gartenstadt-Architektur auf. Sie können auch heute noch besichtigt werden.
Auch in den Nachbarstädten gibt es ähnliche Anlagen, bei denen das Tormotiv nie fehlen durfte.
Die Gartenstadt-Bewegung konnte sich wegen des ersten Weltkriegs letztlich nicht durchsetzen.
Sie war letztlich zu aufwendig. Nach dem ersten Weltkrieg wurde anders gebaut, es entstanden die
großen sozialen Wohnungsbauprojekte der 1920er und 1930er Jahre.
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Neue Techniken im Bauwesen |
Neben das Bauen mit konventionellen Materialien trat im Laufe des 19. Jahrhunderts, begünstigt durch die
industrielle Herstellung von Eisen und Stahl, die Verwendung von Metall in der Architektur. Nürnberg bietet
ein besonders richtungsweisendes Denkmal dieser Epoche: den Kettensteg, die älteste freischwebende Stahlhängebrücke
Deutschlands, bereits 1824 von Johann Georg Kuppler errichtet. 1930 wurden allerdings Joche eingezogen,
seitdem schwingt der Kettensteg nicht mehr frei.
Äußerlich nicht erkennbar: die Gaststätte "Trödelstuben", Trödelmarkt 30, ist ein Stahlbau
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Der Kettensteg, ein besonderes Denkmal der Technikgeschichte, überspannt den Pegnitzausfluß am Maxplatz
Die "Trödelstuben" sind als Gaststätte recht bekannt, aber nur wenige wissen, daß es sich
bei dem Gebäude um einen verputzten Stahlbau handelt, den die Firma Cramer-Klett (aus der die MAN hervorging) im Jahr 1883 errichtete.
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Dienstleistung gegen Industrie: Das 20. Jahrhundert |
In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war Nürnberg noch eine
blühende Industriestadt. So lag hier etwa in den 1920er Jahren neben Berlin die deutsche Hochburg der
Motorradindustrie mit mehr als drei Dutzend Herstellern (z. B. Triumph, Victoria, Zündapp).
Im Zuge des Strukturwandels im des 20. Jahrhunderts sind immer mehr Unternehmen verschwunden und deren Fabriken
abgerissen worden. Noch in den 1980er Jahren opferte man eine einzigartige Fabrikanlage zu Gunsten eines nichtssagenden Baumarkts, und von den
1985 noch zu Zwecken des 150-jährigen Eisenbahnjubiläums hergerichteten Hallen des
Tafelwerks ist nur noch ein
symbolischer Teil übrig. Nürnberg hat noch immer mit den Auswirkungen des Strukturwandels zu käpfen. Heute spricht man von der
"Postindustriellen" Gesellschaft.
Ruine "Zucker-Bär" |
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Ruine "Zucker-Bär"
Auch geben expandierende Unternehmen ihre beengten Innenstadtlagen auf, um sich auf der "grünen Wiese" neu niederzulassen, wie etwa
die traditionsreichen Bleistiftfabrikanten Staedtler und Schwan-Stabilo. Die
Gegenwart bietet wiederum
bemerkenswerte Industrie- und Gewerbearchitektur.
Das Ende vieler - wertvoller - Industriedenkmäler:
Ungenutzt und ungeschützt verfallen die Gebäude, wie diejenigen der ehemaligen Zuckerfabrik Bär.
Allenfalls Ruinen-Romantiker sind begeistert vom
Zustand der ehemaligen Zuckerfabrik, in diesem Zustand als einem der
schaurigsten Orte in Nürnberg. Für Liebhaber des Morbiden zu empfehlen ist auch eine
andere malerische Ruine im Stadtgebiet, das im zweiten Weltkrieg
zerstörte ehemalige Renaissance-Wasserschloss Oberbürg bei Laufamholz sowie das nahegelegene ehemalige Industriegut Hammer.
Auch Heilig-Kreuz-Kirche und die ehemalige Katharinenklosterkirche haben heute kein Dach mehr.
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Spezielle Literaturhinweise zur Industrialisierung:
- GLASER, Hermann (Hrsg.): Industriekultur in Nürnberg. Eine deutsche Stadt im Maschinenzeitalter, 2. Auflage, München 1983
- KOCH, Christian: Bier in Nürnberg-Fürth. Brauereigeschichte in Franken, München 1987
- KOCH, Christian: Industriekulturpfad/1. Eine stadtgeschichtliche Wanderung im Pegnitztal, Nürnberg 1983
- KOCH, Christian: Industriekulturpfad/2. Eine stadtgeschichtliche Wanderung durch St. Leonhardt und Schweinau, Nürnberg 1985
- REINWALD, Thomas/TÄUBRICH, Hans-Christian: Nürnberger Motorradindustrie. Von Ardie bis Zwerg, Brilon 2002
- SCHMOLL, Fritz: Das Nürnberger Schwein oder: Wohnungsbau für die breiten Schichten des Volkes.
In: Festschrift für J. A. Schmoll genannt Eisenwerth zum 90. Geburtstag / hrsg. von Winfried Nerdinger und Norbert Knopp, München 2005
- SCHULTHEISS, Werner: Die Industrialisierung Nürnbergs im 19./20. Jahrhundert, in: MVGN 54 (1966), S. 158 ff.
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Zeugnis der Motorradindustrie: Ehemalige Zündapp-Fabrik am Kirchenweg
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